Mountainbiken als Lifestyle
Meine alten Freunde wundern sich, wenn sie mich besuchen kommen. In meinem Wohnzimmer stehen – als wäre es das Normalste von der Welt – ständig zwei bis drei Bikes herum.
Teils in blitzsauberem, teils in dreckigem Zustand. Stört offenbar niemanden, nicht mal die zwei Kater, die gechillt unterm Tretlager liegen, jeder natürlich unter „seinem“ eigenen.
Irgendwo liegt immer ein wenig Werkzeug auf dem Tisch, zusammen mit einer Dose Kettenfett, und die Fotos im Eingangsbereich zeigen eine super glücklich aussehende Mountainbikerin irgendwo in den Alpen. Live what you love.
Im Kochbuchständer steckt die neueste Ausgabe irgendeiner Mountainbike-Zeitschrift, daneben kleben noch die zwei Eintrittskarten vom letzten Worldcup-Besuch – da klingelt es gerade, und der freundliche DHL-Mensch bringt zwei Pappkartons mit neuen Bikeparts.
Die Mountainbikerin von dem Foto (also: ich) läuft rasch hin und reißt sie ihm freudig aus der Hand, um danach jubelnd in der Bike-Werkstatt im Keller zu verschwinden. Die Rechnung, die mit Sicherheit immer oberhalb von 100 € liegt, wird achtlos beiseite gelegt. Erst mal müssen die neuen Parts bewundert und eingebaut werden.
Die Prioritäten sind in diesen Haushalt klar gesetzt – und obwohl Biken die schönste Nebensache der Welt ist; das Hobby verschlingt schier unglaubliche Ressourcen an Geld und Zeit und macht sich überhaupt in jeder Hinsicht ziemlich breit. Nur leider weiß man das häufig nicht, bevor man mit dem Mountainbiken anfängt…
Wenn ihr euch in dieser Beschreibung wiederfindet, seid ihr schon längst genauso wie ich in diesem kuriosen MTB-Universum angekommen, in dem es sich unter lauter Gleichgesinnten und Gleich-Verrückten bestens aushalten lässt.
Die wichtigste Regel in diesem Universum lautet: n+1.
Wobei n die Anzahl der Bikes beinhaltet, die ihr besitzt und +1…nun ja, das ist der ewige Wunsch, noch ein weiteres Bike anzuschaffen, das ihr eigentlich nicht braucht.
Oder doch?
Dann ist da noch der eigene Optimierungswahn, der im Zusammenhang mit neu auf den Markt gekommenen technischen Standards zu einer ungeheuren Materialschlacht ausarten kann.
Allein mit Schrauben und Pimpen kann der passionierte Mountainbiker ganze Tage verbringen. Es gibt sogar Mountainbiker, deren Dasein nur noch darin besteht, an ihren Bikes herumzuschrauben und die das Fahren nicht mehr für das Wesentliche halten….
Was an finanziellen Mitteln neben den Anschaffungskosten für Bikes und Parts noch übrig bleibt, wird in die Verschönerung des Mountainbikers gesteckt.
Zweite goldene Regel: Style is everything.
Wenn dein schwarzes Bike gerade neue neonfarbene Griffe, Pedale und Schaltzughüllen bekommen hat und du es mit handgefertigten neonfarbenen Decals und einem persönlichen Schriftzug mit Verweis auf dich, den Fahrer, versehen hast, wirst du dich doch wohl nicht in deinen alten ockerfarbenen O-Neill-Klamotten aus dem Vorjahr auf den neuen Hobel setzen, sondern was anständiges anziehen.
Da müssen neue schwarz-neonfarbene Shorts her, neue Handschuhe sowieso und wo du gerade dabei bist, nimmst du dir ein paar neue Fivetens und so ein paar andere Sachen noch mit und bezahlst mit einem Lächeln die mehr als 300 Tacken, die deine neue Ausstattung so kostet.
Zu Hause stellst du fest: du hattest ja noch drei Paar Fivetens….in unterschiedlichen Stadien der Abnutzung. Egal. Passten farblich nicht so gut. Man kann NIE genug Bikeschuhe haben… (dieser Hinweis erfolgt mit freundlichen Grüßen an die Jungs vom Schuhstand, die jedes Jahr auf dem Dirtmasters in Winterberg zu finden sind).
Dann findest du im Internet noch einen Helm und eine neue Brille, die so was von perfekt zu deinem Bike und deinem neuen Outfit passen. Du hast zwar schon zwei Helme. Aber man soll die ja von Zeit zu Zeit austauschen… also dreimal geklickt und die Sachen sind schon auf dem Weg.
In deinem Kleiderschrank liegen die Bikesachen natürlich sauber geordnet nach Stylefaktor und Einsatzzweck, und zwar an vorderster Stelle. Da sind die bunten Outfits für den Bikepark und fürs Freeriden, die etwas gemäßigteren Kombis fürs normale Trailriden und für Touren.
Das ganze Schonergedöns liegt daneben, die Protektorenjacke für den Park, sowie zwei Bikerucksäcke und mindestens drei Paar schreiend bunte MX-Socken…
Am Abend willst du in die Stadt gehen, ein wenig mit Freunden feiern. Die auch alle bikeaffin sind. Was ziehst du an? Das T-shirt mit dem Platzangst-Logo, darüber eine coole Jacke von ION. An den Füßen Adidas Terrex mit Rubber-Stealth-Sohle. Weil die so bequem sind und cool aussehen. Außerdem gehen die vom Biken eh kaputt, wenn sich die Pins in die Sohle bohren, da kannst du sie auch gleich so tragen.
Na klar. 😉
Und wenn du dich mit deinen bikeverrückten Freunden triffst – worüber quatschst du da?
Über die Hose, die du dir gerade gekauft hast, dein Bike, den letzten Ride, wie du dich mit den Schaltzügen abgemüht hast und wie toll dein letzter Bikeurlaub oder dein letztes Rennen war.
Jedenfalls wird einem als Mountainbiker nie der Gesprächsstoff ausgehen. Wenn ich in den letzten Jahren etwas gelernt habe, dann das: Mountainbiker sind Wesen, die sich bis ins letzte Detail über ihre Passion auslassen können. Manche bringen es sogar fertig, und verbinden Biken, Schrauben und Quasseln zu einer perfekten Symbiose.
Ich bin da im Übrigen keine Ausnahme.
Aber wenn ihr schon länger auf meiner Seite unterwegs seid, wisst ihr das natürlich bereits 😉