Challenge

Challenge

 

Ich stehe am Abgrund. Vor mir schwingt Marek eifrig die Schüppe, um den gerade sorgfältig geformten Absprunghügel zu glätten. Der Hügel ist beängstigend steil, noch beängstigender ist die Tatsache, dass er sich seitlich direkt an der Kante eines Steilhangs befindet. Hinter dem Absprung ist …nichts. Ein Nichts von 5 bis 6 Metern, das übersprungen werden muss. Bevor die Line am Rand des Steilhangs weitergeht.

Marek arbeitet konzentriert, sorgfältig. Es besteht kein Zweifel daran, dass er den Sprung instand setzt, um ihn dann sicher und ohne zu großes Risiko bewältigen zu können.

Für die meisten Fahrer wäre das Risiko dabei nicht einschätzbar und die Verletzungsgefahr enorm. Nicht so für Marek, der ganz genau weiß was er tut. Natürlich kann auch er nicht ausschließen, dass er sich verschätzt und eine Landung verpatzt. Aber er weiß auch, mit welcher Geschwindigkeit er den Sprung anfahren und wann genau er sich abdrücken muss, um sicher auf der anderen Seite zu landen. Am Anfang hat er sich Markierungen an die Bäume gemacht, um zu wissen, wann er aufhören muss zu pedalieren und die Sprungphase einzuleiten.

Er springt das Ding nicht einfach so – er macht ein Projekt draus. Den Kicker instand zu setzen, gehört dazu und die Zeit abzuwarten, bis alles gut durchgehärtet ist nach dem Regen, den er dazu braucht, auch.

Marek kennt sein Limit sehr gut. Kann unterscheiden, was für ihn geht und was nicht.
Was für fast jeden anderen Wahnsinn wäre, geht er überlegt und mit Spaß an der Sache an. Ich sehe ihm dabei zu und denke, dass das Ganze schon ziemlich abgedreht ist und bin zugleich schwer beeindruckt von seiner Herangehensweise. Dass er das springen wird… keine Frage. Nicht so sehr als Mutprobe. Sondern weil er es will. Und weil er es auf Grund seiner Erfahrung umsetzen kann.

Schnitt.

„Halte mir mal bitte das Gatter auf“, sagt Alex zu mir. Wieso? „Siehst du nicht den Step Up da vorn?“ Mein Blick geht zu der Stelle im offenen Gelände, auf die er zeigt. Ein steiler Wiesenhügel, dahinter eine tiefe Mulde und dann ein erneuter Anstieg, sehr viel höher als der erste. Distanz: ca. 6-7 Meter. Ah, DER Step Up. Ja klar. Ähm….ja klar?

Er startet von der Stelle aus, die er für die richtige hält, tritt an wie irre, schiesst an mir vorbei durch das offen gehaltene Gatter und beschleunigt maximal. Nutzt wie geplant den ersten Hügel als Kicker, gewinnt eine unglaubliche Höhe und landet perfekt und mit dem richtigen Timing weit oben auf dem zweiten Hügel.

Es hat alles gepasst und dass er sich danach richtig gut fühlt, ist nicht zu übersehen. High Five, natürlich. Ich bin ziemlich sprachlos. Er ist so gut drauf, dass er den ganzen Rest der Fahrt hinunter ins Tal nur lässig auf dem Hinterrad rollt und dabei von einem Ohr zum andern grinst, was ich sehen kann, obwohl er einen Fullface trägt.

Nein, er wusste natürlich nicht, dass sein Plan so perfekt aufgehen würde. Aber er hatte das Risiko sorgfältig eingeschätzt und es als machbar bewertet. Ein Sturz wäre nicht auf Asphalt oder einem Steinfeld geendet sondern auf weichem Wiesenboden. Außerdem war er solche Distanzen schon vorher gesprungen.

Schnitt.

Jetzt stehe ich an einer Geländekante und schaue runter. Der Steilhang unter mir ist respekteinflößend, die ersten Meter fast freier Fall. Es ist hoch, man hat ein wenig das Gefühl, auf dem Dach eines großen Hauses zu stehen. Auf der Seite des Gegenhangs ist ein natürlicher Wallride entstanden. Der ist auch ziemlich riesig. Ich stehe da und denke nach.

Eines ist klar: entweder man zieht das hier durch oder nicht. Es gibt keinen halben Versuch, einmal über die Kante und dann muss man das ganze Ding fahren. Bremsen dürfte schwierig werden bei dem Gefälle. Und wenn man anfährt, sieht man den Abgrund nicht einmal.

Hm. Ich rolle einmal langsam Richtung Kante. Da ist eine Line etwas rechts im Steilhang, die für mich fahrbar aussieht. Ich schätze das Risiko ab und halte es für vertretbar. Will ich das fahren? Ich will. Fahre von etwas weiter hinten los, konzentriere mich, halte den Pedaldruck. Nähere mich der Kante, ich könnte sogar jetzt noch bremsen, aber ich ziehe es durch.

Lasse mich über die Kante gleiten und im gleichen Moment erfahre ich eine irre Beschleunigung. Der Boden unter mir ist nicht so glatt und eben wie es von oben den Anschein hatte. Ich muss sehr nachdrücklich den Lenker festhalten um die Schläge aufzufangen, die mein Fahrwerk trotz 170 mm Federweg bei dem Tempo durchlässt. Dann schiesse ich schon in den Wallride hoch, bis ich die Geschwindigkeit etwas abgebaut habe, drehe, fahre wieder runter und dann wieder hoch in den gegenüberliegenden kleineren Wallride. Ich glaube, ich gebe dabei einen ziemlichen Jubelschrei von mir, irgendwo zwischen dem ersten und dem zweiten Wallride, als ich realisiere, dass ich die Herausforderung soeben bewältigt habe.

Und, dass ich in der Lage war, sie richtig einschätzen zu können. Fühlt sich irrsinnig gut an.

Natürlich gab es ein Sturzrisiko dabei. Das gibt es immer. Aber die Art der Herausforderung passte trotzdem, und zwar nicht für irgendjemanden, sondern für mich: zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort. Und das ist wirklich eine grandiose Erfahrung, die das Risiko aufwiegt.

Ich komme beschwingt aus dem Trail herausgeschossen und lande auf dem Waldweg. Vor mir auf dem Weg sind zwei Frauen mit ihren Hunden. Beide grinsen mich fast wie Komplizen an, als ich grüsse und an ihnen vorbeifahre. Hey, sagt die eine, viel Spaß und weiterhin noch viel Erfolg heute.

Hey, danke, sage ich und weiß, dass ich dabei von einem bis zum anderen Ohr grinse. Ich kann es einfach nicht verhindern.

Schnitt.

Know your limit, erklärt mir Alex. Du kannst jede Menge verrücktes Zeug machen – aber nie dabei vergessen, dass es für jeden ein Limit gibt, völlig egal wie gut und wie lange man schon fährt.

Zu sehr sollte man nicht drüber gehen und es auch nicht zu schnell hochschrauben. Denn jeder heftige Sturz wirft dich mental und körperlich zurück.

Ich frage mich, wo eigentlich sein Limit ist, aber er redet schon weiter.

Die Rampage zum Beispiel, du kennst ja dieses Mega-Event. Ich war schon mal da vor Ort. Einfach so, um zu schauen, ob ich da fahren kann. Ich starre ihn mit großen Augen an. Wirklich? Er lacht. Ja. Ich dachte mir, da muss doch was gehen. Bin da hochgeklettert, wo der Grat oben ist, weißt du, der Startplatz, den man auch in den Videos sieht. Hab eine ganze Stunde oben verbracht und mir alles angeschaut.

Und dann? frage ich. Dann habe ich mein Bike wieder runtergetragen, sagt er ganz nüchtern. Hab da oben keine fahrbare Line gesehen. War eine ganz klare Entscheidung. Alles andere wäre Irrsinn gewesen.

Thanks Alex, thanks Marek.

Durch euch zwei ist mir klargeworden, was Risiko beim Freeriden und Mountainbiken bedeutet und wie man damit konstruktiv umgehen kann.

Toll, euch kennengelernt zu haben!

Eure Ruhrblick

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